Wieso „hormongesteuert“ keine Beschimpfung sein sollte – Interview mit einer Expertin
Welche Hormone spielen beim Sex eine Rolle? Wie spielen Kopf und Körper zusammen? Wir haben uns mit Dr. Carla hingesetzt und uns ein wenig Wissen über die Ähnlichkeit der Geschlechter angeeignet. Eine direkte Info zum Mitnehmen vorab: „Hormongesteuert“ sind wir alle. Das ist nichts Schlechtes, sondern eine verdammt feine Sache.
Dr. med. Carla Pohlink
Carla ist die Expertin hinter der SiClaro Education. Sie ist ein Booster für das Vorhaben und bringt einiges an Erfahrungen als Ärztin und Sexualtherapeutin mit.
SiClaro: Carla, wie hormongesteuert sind wir alle?
Dr. Carla: Puh, ziemlich! Und das ist auch gut so! Unser Körper ist ständig mit der Hormonproduktion beschäftigt. Gonadoliberin heißt das Hormon, welches die Geschlechtshormone freisetzt und dafür sorgt, dass Hirn und Geschlechtsorgane miteinander kommunizieren. Alle vier Stunden sorgen Follitropin und Lutropin dafür, dass in Eierstöcken und Hoden alles reibungslos abläuft. Somit produziert ein Körper entweder Spermien oder löst mithilfe eines Zyklus’ einen Eisprung aus. Je nachdem, ob sich mehr Testosteron oder Östrogen im Körper befindet.
Testosteron und Östrogen werden einige relevante Unterschiede für Geschlechterstereotypen zugeschrieben ...
Testosteron und Östrogen werden in den Körpern aller Geschlechter produziert. Die Bezeichnung weibliches* Geschlechtshormon für Östrogen und männliches* Geschlechtshormon für Testosteron ist demnach nicht korrekt. Die Unterscheidung hat sich aber trotzdem im umgangssprachlichen Gebrauch eingebürgert, weil Frauen* eben mehr Östrogen und Männer* mehr Testosteron im Körper bilden. Wir sind alle sehr ähnlich aufgebaut, nur sehen wir von außen ein bisschen anders aus. Die Körper ticken großteils, aber genau gleich.
Das heißt, wenn es zu sexueller Erregung kommt, laufen erstmal die gleichen Prozesse ab?
Also erst mal braucht unser Hirn einen Reiz, der uns diese Erregung bringt. Das kann ein schöner Gedanke, eine Berührung eines anderen Menschen oder eine Berührung von uns selbst sein. Unabhängig vom Geschlecht kommt dieser Reiz dann als entspannender Impuls im Becken an. Um jetzt außerdem mal eine Lanze für die „angeblich hormongesteuerten“ Menschen zu brechen: Wenn die Stimulation optimal ist, braucht jedes Geschlecht gleichschnell, um erregt zu sein.
Zeit und Erregung
Wenn die Stimulation optimal ist, braucht jedes Geschlecht gleichschnell, um erregt zu sein.
Und was passiert dann in unserem Körper, wenn wir erregt sind?
Hormone gelten also als Steuerungssystem. Der Nervenreiz, der aus dem Hirn in die Beckenregion geschickt wurde, trifft hier auf sehr viele Nervengefäße. Das Klitorisgefäß und auch das Penisgefäß sind nur 1 Millimeter dünn. Das ist richtig klein! Durch den Nervenreiz wird in diesem kleinen Gefäß Stickstoffmonoxid ausgeschüttet. Das führt dann dazu, dass das Gefäß dick wird, sich weitet und dadurch mehr Blut durchfließen kann. Dadurch schwillt dann entweder die gesamte Penisregion an oder die Klitoris. Auch der Vaginalkanal weitet sich und wird verstärkt durchblutet. Deshalb wird die Vagina auch feucht, weil sie gut durchblutet ist. Man könnte also sagen, die Vagina schwitzt!
Und welche Rollen spielen Östrogen und Testosteron hier?
Testosteron spielt vor allem als Triebhormon eine Rolle – bei allen Körpern, unabhängig des Geschlechts. Testosteron erhöht die Lust und lässt uns mehr erotische Signale wahrnehmen. Östrogen wiederum sorgt für eine weich gepolsterte und trotzdem elastische Haut am Venushügel, an den Schamlippen und in der Vagina. Östrogen setzt außerdem das erwähnte Stickstoffmonoxid frei, das die Durchblutung in diesen sensiblen Zonen anregt. Und auch bei Menschen mit Penis ist Östrogen maßgeblich an der Libido beteiligt. Für eine weiche Haut sorgt es unabhängig vom Geschlecht.
Klingt, als wäre jetzt alles bereit.
Sobald die Vagina feucht oder der Penis hart wird, die Klitoris dick und gut sichtbar und die Schamlippen dick werden, ist alles bereit für das nächste Hormon: Dopamin. Beispielsweise kann der Anblick eines knackigen Hinterns schlagartig ganz viel Dopamin freisetzen. Dopamin regt außerdem in der Hirnanhangsdrüse die Ausschüttung von Oxytocin an und blockiert die Abgabe von Prolaktin. Sexulog*innen nennen Oxytocin auch gern das Bindungshormon. Der Botenstoff schwirrt immer in unserem Körper herum, aber kurz nach dem Orgasmus klettert die Konzentration im Blut steil nach oben. Oxytocin wird auch das Kuschelhormon genannt. Es sorgt dafür, dass Menschen sich nach dem Sex gern aneinanderschmiegen. Nach dem Orgasmus setzt das Hirn auch noch Prolaktin frei und gibt dem Körper das Signal, sich jetzt ausruhen zu können.
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Lisa Claus ist unsere SiClaro Hausautorin