OrgasMUSS?

Der Ruf des Orgasmus‘ als das ultimative sexuelle Erlebnis ist schlecht. Er wird zu Zwang und Pflicht und gilt als Kür jeder sexuellen Handlung. Wer hat ihm diese Bürde eigentlich auferlegt? Klar ist er schön! Aber genießen sollten wir ihn anstelle von zwanghaft herbeisehnen.

Eine Traumreise

Ich will dich ganz kurz mit auf ein Gedankenexperiment nehmen. Bist du so weit? Einmal kurz einatmen und ausatmen und – super. Es kann losgehen.

Stellt dir vor, du bist wandern. Du hast die richtige Kleidung an, du bist in einer wunderschönen Landschaft und du fühlst dich wohl. Du willst auf einen Berg steigen. Den hast du dir speziell rausgesucht. Die Aussicht von dort oben soll so toll sein. Der Weg dahin dauert etwa 4 Stunden. Du hast richtig Glück mit dem Wetter heute! Vögel zwitschern, der Wald, durch den du läufst, ist sattgrün und hält viele Überraschungen für dich bereit. Den Gipfel, auf den du willst, an den denkst du während der Wanderung kaum. Klar – er ist dein Ziel, aber wie schön die Blumen um dich herum sind, das fasziniert dich viel mehr! Nach 4 Stunden kommst du oben an, du bist glücklich und die Aussicht ist tatsächlich schön. Aber die ganzen kleinen Überraschungen, die der Wald für dich bereitgehalten hat, die siehst du von hier oben gar nicht.

Wenn du dir jetzt vorstellt, der Gipfel ist der Orgasmus und alles davor ist die schöne Wanderung: Wäre es nicht viel schade, nur den Gipfel als Höhepunkt zu bezeichnen?

Kurz ein paar Fakten

Eine falsche Vermutung ist, dass ein Orgasmus nur durch Berührungen im Genitalbereich ausgelöst werden kann. Der Genitalbereich spielt zwar eine Rolle, da er durch aufkommende Erregung bis auf ein Maximum durchblutet wird, bevor es beim Orgasmus selbst zu rhythmischen und unwillkürlichen Muskelkontraktionen kommt, in denen sich die sexuelle Spannung entlädt. Aber: Ein Orgasmus kann theoretisch auch am Ohr ausgelöst werden. Die körperliche Reaktion wird meistens als ein sehr angenehmes individuelles Erlebnis empfunden. Auch das Gefühl von Rausch und Überwältigung ist eine häufige Beschreibung. Wie tief und intensiv sich dieses Erlebnis anfühlt, kann sich von Mal zu Mal als auch von Mensch zu Mensch unterscheiden. Sowohl körperliche als auch gedankliche Stimulation spielen hier eine Rolle.

Du kommst nicht?

Orgasmus ist wie alles, was wir können wollen Übungssache. Fahrradfahren üben wir, Tennis spielen üben wir, wir nehmen sogar Unterricht, wir trainieren. Warum also auch nicht beim Orgasmus diesen Grundsatz anwenden? Ja, es gibt Menschen, die keinen Orgasmus erfahren können.* Es gibt aber auch viele Menschen, die einfach nur nicht wissen, wie es geht. Wer eine Sache gut machen will, lernt sie kennen: Lerne deinen Körper kennen! Lerne kennen, was dir selbst Spaß macht und begib dich auf den Weg zum Gipfel. Vergiss aber nicht, wie schön die Wanderung dahin ist, auch wenn du es nicht direkt zum Gipfel schaffen solltest.

*Nimm gerne Kontakt zu einer Beratungsstelle in deiner Nähe auf, wenn du davon betroffen bist. Ein erstes Gespräch mit deiner*deinem Ärztin*Arzt, kann auch hilfreich sein.


Dieser Text entstand in Zusammenarbeit mit Dr. med. Carla Pohlink, die als Ärztin und Sexualtherapeutin arbeitet.

Lisa

Lisa Claus ist unsere SiClaro Hausautorin