Nacktheit und Sexualität

Nacktheit assoziieren wir häufig mit Verletzbarkeit. Oder aber mit Sexualität. Völlig entblößt sind wir für Außenstehende antastbar. Kleidung kaschiert, Kleidung bedeckt und Kleidung macht weniger angreifbar. Auch verdeckt Kleidung die Verbindung vom Körper zur Sexualität. Wieso aber werden nackte Körper überhaupt sexualisiert?

Wie ist es bei dir?

Setzt du selbst deinen eigenen nackten Körper mit Sexualität gleich? Hast du dich schon mal nackt zum Baden getraut oder ist das für dich undenkbar? Setzt du Nacktheit mit Sex gleich?

Wenn du dich selbst ansiehst, was projizierst du dann in dich? Welche Rolle spielt Sexualität, wenn du deinen Körper betrachtest? Und: Provoziert dich der Anblick anderer nackter Körper?

Nacktheit und Erotik

Je nach Situation laden wir nackte Körper manchmal selbst erotisch auf und manchmal tun wir das nicht. Vor manchen Menschen können wir uns problemlos nackt ausziehen. Vor anderen können wir das nicht, ohne dass sich die Situation mit einer sexuellen Spannung aufladen würde. „Übertrieben herausgestellte“ Nacktheit ist aber überall ungewünscht, quasi ungehorsam. Nur wer bestimmt, was genau übertrieben ist? Oder herausgestellt? Übertrieben setzt eine Norm voraus. Aber unser Körper gehört uns, und wir können unseren Körper genau so zeigen, wie wir ihn zeigen wollen. Unsere Körper sollen nicht reduziert und nicht objektifiziert werden. Entspannt fühlt sich der Mensch mit seinem Körper dann, wenn er nicht in etwas hineingedrängt wird, dass er nicht sein will.

Wann werden Körper sexualisiert?

Wenn Körper mit Sex gleichgesetzt werden, sprechen wir davon, dass diese Körper sexualisiert werden. Meistens werden die Körper von weiblich gelesenen Personen sexualisiert, aber nicht nur. Ein FKK-Strandbad wiederum wirkt nicht obszön. Vielleicht gibt es sexuelle Aufladungen, aber keine Erotik. Beim Gespräch schauen sich zwei Personen auch im FKK-Strandbad in die Augen und nicht auf den Intimbereich.

Nacktheit kann auch als Ausdruck von Unschuld gesehen werden ist. Somit ist die nackte Schamlosigkeit der Freikörperkultur kein Unglück, sondern ein kindlicher schambefreiter Zustand – von Unschuld geprägt.

Scham

Die Scham ist spannend und unterscheidet den Menschen von anderen Lebewesen.

Schambehaftete Nacktheit

In der biblischen Schöpfungsgeschichte sind es Adam und Eva, die die Scham erfinden: Sie werden sich ihrer Nacktheit bewusst, als sie die Frucht vom Baum der Erkenntnis naschen. Die „Sünde“ ist geboren. Die Scham ist spannend und unterscheidet den Menschen von anderen Lebewesen. Wenn wir uns vor Fremden ausziehen, beschleunigt sich der Puls, und unbefangen nackt zur Arbeit würde wohl keine*r von uns gehen. Die Wissenschaft kennt keine menschliche Lebensform, die ohne Genitalscham lebt. Weder indigene Völker, noch zivilisierte Gesellschaften, die in Städten leben. Es gibt sogar Untersuchungen, die das Schamgefühl als Erbanlage betrachten. Der Mensch hat im Gegensatz zu Tieren seit mehreren hundertausend Jahren keinen öffentlichen Geschlechtsverkehr. Für gewöhnlich ziehen wir uns zum Sex zurück. Ist beim Sex die Aufmerksamkeit nicht voll und ganz beim Gegenüber und beim eigenen Körper? Die Umwelt wird nicht mehr klar wahrgenommen. Somit ist der Mensch evolutionsbiologisch betrachtet verwundbar.

Kleidung gab dem Menschen Möglichkeit, eine Ausstrahlung unabhängig von sexuellen Reizen zu wählen. Durch Kleidung kann sich der Mensch entkörperlichen – oder den Körper betonen, je nachdem. Genau dadurch, dass der Körper und vor allem seine Geschlechtsteile bedeckt wurde, gehen Evolutionsforscher*innen davon aus, dass sich im Verlauf der Geschichte der gesamter Körper sexualisiert hat.


Dieser Text entstand in Zusammenarbeit mit Dr. med. Carla Pohlink, die als Ärztin und Sexualtherapeutin arbeitet.

Lisa

Lisa Claus ist unsere SiClaro Hausautorin