MRKH, was es heißt als Frau ohne Uterus geboren zu sein

Das alte binäre System bricht auf und das Verständnis für Geschlechteroffenheit weitet sich. Schon lange wissen wir, biologisches Geschlecht ist ungleich soziales Geschlecht. Was aber machen Menschen, die äußerlich seit Beginn an „der einen Norm“ entsprechen, nur innerlich nicht? Wir haben mit Alina gesprochen, die eine persönliche Sichtweise darauf hat.

MRKH

Alina ist 23 Jahre alt und wurde mit MRKH geboren. Ihre Geschlechtsmerkmale waren zwar eindeutig dem Geschlechtstypus „weiblich“* zuweisbar und teilweise auch nicht. Im Klartext bedeutet das, Alina hat keinen Uterus. Eierstöcke und ein sehr verkürzter Vaginaleingang sind jedoch häufiger vorhanden. Auch bei Alina war das so. Diese Organzusammensetzung hat in der Medizin die Bezeichnung MRKH (Mayer-Rokitansky-Küster-Hauser), benannt nach den österreichischen Ärzten von Mayer, Rokitansky und Küster und dem französischen Gynäkologen Hauser. MRKH tritt hauptsächlich bei Menschen mit weiblichen* Geschlechtsmerkmalen auf, das heißt bei Personen mit zwei X-Chromosomen. Es wurde jedoch auch schon bei Personen mit einem X- und einem Y-Chromosom (XY-Geschlechtschromosomen) festgestellt, wenn gleich das sehr selten vorkommt. MRKH beeinträchtigt die Entwicklung der Geschlechtsorgane. Menschen, die mit MRKH geboren werden, haben keine Menstruation. Sie können jedoch Eierstöcke und Eileiter haben und sind somit in der Lage, Kinder zu bekommen, indem sie entweder eine künstliche Befruchtung durchführen oder eine Uterustransplantation erhalten.

MRKH

MRKH tritt hauptsächlich bei Menschen mit weiblichen* Geschlechtsmerkmalen auf, das heißt bei Personen mit zwei X-Chromosomen.

Leben mit MRKH

Viele Menschen mit MRKH lassen sich im Laufe ihres Lebens den Vaginaleingang weiten oder führen eine Operation zur Bildung einer Neo-Vagina durch. Unsere Gesprächspartnerin Alina hat sich mit 14 Jahren für eine Operation entschieden, die zu diesem Zeitpunkt für sie eigentlich keine Relevanz hatte. An Sex hat sie vielleicht gedacht, ihn aber noch lange nicht gehabt. Sie hat sich operativ eine künstliche Vagina, eine sogenannte Neovagina, schaffen lassen. Es hätte auch die Möglichkeit gegeben, die sehr kurze vorhandene Vagina selbst zu weiten – das wäre aber sehr schmerzhaft gewesen. Als es dann einige Jahre später zum ersten Mal kam, kannte sie sich und ihr körperliches Geschlecht schon ziemlich gut. Vielleicht sogar besser als manche andere Menschen bei ihren ersten sexuellen Erfahrungen.

Bye Bye Musterkörper

Jeder Fall von MRKH ist unterschiedlich. Die betroffenen Personen entscheiden sich für ihre eigenen Lebenswege. Die meisten Menschen, die mit MRKH geboren sind – und auch sonst alle Menschen – , wachsen mit einem gesellschaftlichen Geschlecht auf. Auch Alina. Nicht selten merken von MRKH betroffene Menschen erst in der Pubertät, dass sie organisch keine „typisch weibliche“* Entwicklung hatten. Das wiederum kann eine Identitätsfrage aufwerfen. Alina hat sich schon früh für eine Identität als Frau entschieden.

MRKH

Jeder Fall von MRKH ist unterschiedlich. Die betroffenen Personen entscheiden sich für ihre eigenen Lebenswege.

Bewusstsein schaffen

Alinas Umfeld und vor allem ihre Eltern haben sie von klein auf gestärkt. Durch die Unterstützung, die sie erfahren hat, ist sie ziemlich selbstbewusst und außerdem aktiv in der MRKH-Community. Dort kann sie mit Menschen Erfahrungen um medizinische Traumata austauschen, über Sex und Intimität als Trigger-Themen sprechen, Fragen zu Hormonen und Operationen stellen und das Körperbild infrage stellen. Körper ist nicht gleich Geschlecht.

In der Community selbst gibt es für Betroffene mehr Gespräche mit Menschen, die geteilte körperliche Erfahrungen mit Humor statt mit Scham betrachten können.

Ist MRKH gleich intergeschlechtlich?

Das Internet ist voll von Blogs und Foren, in denen Debatte geführt werden, ob Personen mit MRKH intergeschlechtlich seien oder nicht. Mit Blick auf eine Öffnung von veralteten Gesellschaftsnormen hin zu einem Geschlechterkontinuum ist die Frage, wer als intersexuell gilt und wer nicht irrelevant. Es geht darum, das Spannungsfeld zu verstehen und nicht zu benennen, in dem sich Menschen mit MRKH wie Alina bewegen, deren Körper sich vielleicht näher an der „typisch weiblichen“* Entwicklung befindet, aber keiner „Krankheitszuschreibung“ bedarf. In einer Gemeinschaft, in der wir Offenheit erreichen wollen, müssen wir auch Begrifflichkeiten reflektieren. Und dann verlieren wir vielleicht widerstrebende Erwartungen an Körper generell, die uns wahrscheinlich alle schonmal kirre gemacht haben.

* Die binären Geschlechtsbezeichnungen sind stellenweise in diesem Text bewusst so gewählt, da in der Wissenschaft Gruppenbildungen für die Vereinfachung von großen Datenmengen helfen.

Vielen Dank an Alina, die sich Zeit für uns und das Interview genommen hat.
Dieser Text entstand in Zusammenarbeit mit Dr. med. Carla Pohlink, die als Ärztin und Sexualtherapeutin arbeitet.
Lass uns gerne dein Feedback zum Text hier.

Lisa

Lisa Claus ist unsere SiClaro Hausautorin