Intersexualität: von wegen nur zwei Geschlechter!
In Deutschland leben ungefähr 160.000 Personen intergeschlechtlich. Von wegen zwei Geschlechter. Die Geschlechtsentwicklung bietet viel mehr. Im Frühstadium der Schwangerschaft laufen verschiedene Prozesse ab. Wie sich die inneren und äußeren Geschlechtsmerkmale entwickeln, ist nicht nur binär zu betrachten.
Was war nochmal gleich binär?
Binär heißt: Es gibt zwei. Wir leben aber nicht in einem binären Geschlechtssystem, in dem es entweder männlich oder weiblich gibt. Weder gesellschaftlich noch biologisch.
Vorab: Intersexualität wird oft als „Diagnose“ bezeichnet. Dadurch werden betroffene Menschen stigmatisiert, da der Begriff „Diagnose“ sonst häufig im Kontext von Krankheiten genutzt wird. Ein biologisches Geschlecht ist erst mal eine Feststellung und mehr nicht.
Intergeschlechtliche Entwicklung
Bis ungefähr zur 5. Schwangerschaftswoche haben alle Embryos männliche und weibliche* Geschlechtsanlagen. Sie sind also intersexuell. Der einzige Unterschied ist, dass Zellkerne, die XX-Chromosomen enthalten, sich vermutlich zu Mädchen* entwickeln und Zellkerne mit XY-Chromosomen vermutlich zu Jungen*. Sicher ist das aber nicht. Denn in Wahrheit ist ein komplexes Zusammenspiel von Genen und Hormonen für die geschlechtliche Entwicklung im Uterus verantwortlich. Die einzelnen Schritte der Geschlechtsausprägung können unterschiedlich ablaufen. Gemeinsames Merkmal von Intergeschlechtlichkeit ist, dass nicht alle geschlechtsdifferenzierenden Merkmale des Körpers (z. B. Chromosomen, Gene, Hormone, Keimdrüsen, äußere Geschlechtsorgane) dem biologisch weiblichen* oder biologisch männlichen* Geschlecht zugeordnet werden können.

Androgen-Resistenz
Androgen-Resistenz ist eine der häufigsten Formen der Intersexualität. Der Zellkern des Embryos besitzt typischerweise XY-Chromosomen. Während der Geschlechtsentwicklung werden Hoden gebildet, die Testosteron ausschütten. Dieses dockt aber nirgends an. So bilden sich die Hoden nicht weiter nach außen aus. Gleichzeitig produziert der Embryo Östradiol, was zur Entwicklung der äußeren Geschlechtsteile von Vulva und Vagina führt, trotz XY-Chromosomen. Wichtig ist: Das ist nur eine Form von Intersexualität. Hormone, Chromosomen, die inneren und die äußeren Geschlechtsmerkmale können alle variieren. Allein von außen kann nicht alles erkannt werden.
Sind Operationen notwendig?
Geschlechtsangleichende Operationen fanden bis 2021 häufig bei Neugeborenen statt. Ja, es gibt geschlechtsangleichende Operationen aus medizinischen Gründen. Viele der Operationen finden oder fanden aber rein aus kosmetischen Gründen statt. Das Problem dabei ist, dass betroffene Menschen häufig keine Kinder kriegen können. Ja, es gibt auch intergeschlechtliche Menschen, die ohne operiert worden zu sein, keine Kinder bekommen können. Das ist aber nicht Teil der Diskussion. Die Protestbewegungen intergeschlechtlicher Menschen heute wollen Operationen an Neugeborenen unterbinden. Außerdem wollen sie Intergeschlechtlichkeit sichtbar machen. Bei Geschlechtsangleichungen können Nerven abgetötet werden. Dadurch gehen Empfindungen verloren. Sie wollen intergeschlechtlich geborene Menschen vor gut gemeinter Willkür schützen.
Anmerkung:
Seit 2018 haben Menschen laut § 22 Abs. 3 PStG die Möglichkeit "männlich", "weiblich" oder "divers" als Geschlechtseintrag auszuwählen. Auch bei Babys, die intergeschlechtlich geboren werden, ist dieser Eintrag möglich. Seit dem 22. Mai 2021 gilt laut § 1631e BGB ein Gesetz, das Regelungen zur zielgerichteten geschlechtsangleichenden Behandlung von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung enthält.
* Dieser Text entstand in Zusammenarbeit mit Dr. med. Carla Pohlink, die als Ärztin und Sexualtherapeutin arbeitet.
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Lisa Claus ist unsere SiClaro Hausautorin